Wandelbare Anstandsdamen - Wie Chaperone die Struktur von Proteinen beeinflussen

09.04.2010

Ohne Chaperone wäre kein Leben auf der Erde möglich. Denn diese Eiweiße sorgen dafür, dass andere Proteine nach ihrer Synthese in eine dreidimensionale Form gebracht werden, in der sie ihre korrekte Funktion erst erfüllen können. Bisher war über die molekulare Struktur der Chaperone und ihre Veränderungen während der Faltung von Proteinen nur wenig bekannt.

Nun haben Wissenschaftler um Professor Don C. Lamb und Dr. Dejana Mokranjac von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München erstmals die Struktur und Dynamik eines wichtigen Chaperons in Echtzeit untersucht. Dabei entdeckten sie, dass das Chaperon aus der Gruppe der sogenannten Hitzeschockproteine 70 (Hsp70) erstaunlich vielfältige und dynamische Strukturen einnehmen kann. (Molecular Cell, 9. April 2010).

Proteine sind die Grundbausteine aller Zellen. Sie geben diesen nicht nur ihre Struktur, sondern steuern auch eine Vielzahl biologischer Funktionen wie den Transport von Stoffen oder chemische Reaktionen in der Zelle. Diese Aufgaben können neu synthetisierte Proteine aber nach der Faltung in eine jeweils spezifische dreidimensionale Struktur erfüllen. Dabei kommen die Chaperone – das ist englisch für „Anstandsdame“ – ins Spiel: Diese Moleküle treten mit den noch ungefalteten Proteinen in Wechselwirkung und bewahren sie während der Faltung in die korrekte Struktur vor schädlichen Einflüssen. Die Chaperone lassen sich bisher fünf unterschiedlichen Klassen zuordnen. Die sogenannten Hitzeschockproteine 70 (Hsp70) sind an einer Vielzahl zellulärer Prozesse beteiligt, neben der Faltung von Proteinen gehören dazu auch die Umgestaltung von Proteinkomplexen und der Transport von Proteinen durch die Membranen verschiedener Zellorganellen, etwa der Mitochondrien.

Bisher war über die Struktur dieser Chaperone sowie über ihre dynamischen Veränderungen im Verlauf der Proteinfaltung nur wenig bekannt. Dem Team um Professor Don C. Lamb und Dr. Dejana Mokranjac vom Department Chemie der LMU ist es nun erstmals gelungen, die Dynamik eines wichtigen Hsp-70-Chaperons in Echtzeit zu verfolgen. In Zusammenarbeit mit Professor Walter Neupert vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München bildeten die Forscher Veränderungen im Verlauf des sogenannten Konformationszyklus des Chaperons Ssc1 ab. Die Konformation bezeichnet die räumliche Struktur eines Moleküls und unterliegt bei Chaperonen im Verlauf der Proteinfaltung bestimmen zyklischen Veränderungen. So binden die Chaperone während dieses Prozesses an bestimmte Regionen des neu synthetisierten Proteins und schirmen diese von der Umgebung ab. Dabei erhalten sie ihre Energie durch einen chemischen Prozess, bei dem das energiereiche Adenosintriphosphat (ATP) in Adenosindiphosphat (ADP) und einen Phospatrest gespalten wird.

Lamb und sein Team haben definierte Stellen auf einem einzelnen Ssc1- Chaperon farblich markiert und die Abstände zwischen den einzelnen Markierungen mit Hilfe der Fluoreszenz-Spektroskopie bestimmt. Auf diese Weise konnten die Forscher Rückschlüsse auf die räumliche Struktur des Proteins ziehen. „Interessanterweise ist diese Struktur im ATP-Zustand des Chaperons überraschend homogen und sehr stabil“, berichtet Lamb. „Im ADP-Zustand liegt das Protein dagegen in einer sehr viel dynamischeren Form vor und kann eine Reihe verschiedenartiger Strukturen einnehmen.“ Diese Vielfalt an Strukturen hat wiederum Auswirkungen auf die Funktionen, die Ssc1 von anderen Chaperonen unterscheidet. So ist Ssc1 unter anderem dafür verantwortlich, Proteine durch die Membran der Mitochondrien – der Energiekraftwerke einer Zelle – zu transportieren.

„Es ist damit für das Überleben einer Zelle unbedingt erforderlich“, erläutert Dejana Mokranjac. „Wenn wir also die Dynamik und die Funktionen des Ssc1 und anderer Hsp70-Chaperone besser verstanden haben, lässt sich im nächsten Schritt auch genauer untersuchen, wie bestimmte Erkrankungen durch Fehler in diesen Abläufen zustande kommen.“ Dies kann unter anderem zu Erkrankungen wie Krebs, Alzheimer oder der Parkinson- Krankheit beitragen. „Die Antwort auf die Frage, wie die Chaperone ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen, ist äußerst wichtig für das Verständnis biologischer Prozesse, die Leben überhaupt ermöglichen“, sagt Lamb. In zukünftigen Studien wollen die Forscher mithilfe der Fluoreszenz- Spektroskopie weitere Chaperone und ihr Zusammenspiel bei der Formgebung der Proteine untersuchen.

Die Arbeiten wurden im Rahmen der beiden Exzellenzcluster „Nanosystems Initiative Munich“ (NIM) und „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM) durchgeführt. (CA/suwe)

Publikation: „The Conformational Dynamics of the Mitochondrial Hsp70 Chaperone”; Koyeli Mapa, Martin Sikor, Volodymyr Kudryavtsev, Karin Waegemann, Stanislav Kalinin, Claus A.M. Seidel, Walter Neupert, Don C. Lamb, Dejana